www.taktklar.de - 18.01.2020
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Autor: Hannah Frie (E-Mail: hf@taktklar.de)


  1. Grundlegende Gedanken – Jungpferdeaufzucht zwischen ‚Verwildern’ und ‚Verhätscheln’?

Wer träumt nicht davon, ein Fohlen oder Jungpferd aufzuziehen und es Schritt für Schritt zu einem leichtrittigen Pferd auszubilden?

Rund um Aufzucht und Ausbildung von Jungpferden gibt es viele kontrovers diskutierte Fragen: Müssen Jungpferde ‚frei’ und ‚wild’ aufwachsen? Oder sollte man sie so früh wie möglich ‚erziehen’? Ab wann darf man ein junges Pferd anreiten? Kann man die Ausbildung selbst übernehmen oder ist dies Profisache? – Eindeutige Antworten auf all diese Fragen wird man wohl nicht finden. Letztlich können sie nur individuell für das jeweilige Pferd und seinen Besitzer beantwortet werden. Und: In vielen Fällen ist – wie so oft – der Mittelweg eine gute Lösung.

Vielleicht haben Sie Ihr Jungpferd schon seit Fohlentagen bei sich, kennen seine Eltern genau und bestimmen selbst Haltung und Fütterung. Andernfalls sollten Sie so viele Informationen wie möglich über Ihr junges Pferd sammeln. Die folgenden Fragen sollen dabei helfen:

  • Welche Eigenschaften haben seine Eltern? Welche Verhaltensweisen zeigt insbesondere seine Mutter?
  • Wie und wo ist es aufgewachsen? Wurde es allein, in einer kleinen oder großen Gruppe gehalten? Konnte es sich täglich – auch im Winter - auf einer großen Weidefläche austoben oder stand es monatelang im Stall? Wie wurde es gefüttert? Gab es regelmäßig Mineralfutter, Wurmkuren, Impfungen? Wurden die Hufe fachgerecht gepflegt?
  • Welche Krankheiten und/oder Verletzungen hat es gehabt? Wie ging das Absetzen vor sich – gab es irgendwelche Probleme dabei?
  • Hatte es von klein auf Kontakt zu Menschen, Hunden oder anderen Tieren? Wurden mit ihm schon Übungen gemacht? Gab es irgendwelche einschneidenden Erlebnisse oder schlechte Erfahrungen?
Wichtig fürs ganze Pferdeleben: Kontakt zu Gleichaltrigen und viel Auslauf - im Sommer wie im Winter.

Gerade das erste Lebensjahr ist für jedes Pferd entscheidend: Besonders seine Mutter ist ein prägendes Beispiel – in positiver wie in negativer Hinsicht. Lässt sich zum Beispiel die Mutterstute schlecht einfangen, so zeigt auch das Fohlen oftmals die Neigung, vor dem Einfangen zu flüchten. Genauso kann die Mutterstute auch ein gutes Vorbild abgegeben, beispielsweise, wenn sie sich gut verladen oder eine Tierarztbehandlung ruhig über sich ergehen lässt. Wichtig ist auch, dass es viel Bewegung mit Gleichaltrigen hatte und ausgewogen und bedarfsgerecht gefüttert wurde. War es jahrelang verwurmt, könnten später Probleme mit Koliken drohen. Hat es kaum Bewegung, zeigt es unter Umständen wenig Lauffreude oder seine Gelenke konnten sich nicht optimal entwickeln. Zudem spielen natürlich traumatische Erlebnisse wie etwa ein Festhängen im Weidezaun eine bedeutsame Rolle. Das Wissen über diese Basis-Informationen kann Ihnen helfen, bestimmte Verhaltensweisen oder Gesundheitsprobleme Ihres Jungpferdes zu verstehen.
Neben der ‚Vorgeschichte’ ist natürlich die kritische Betrachtung des Jungpferdes selbst für das Training wichtig:

  • Welche Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen zeigt es? Ist es eher ruhig und gelassen, eher ängstlich oder frech? Hat es viel Lauffreude? Wie verhält es sich gegenüber anderen Pferden? Welche Stellung hat es in der Herde inne? Wie benimmt es sich im Kontakt zu Menschen?
  • Hat es irgendwelche auffälligen Gebäudefehler, die einen Einfluss auf seinen Einsatz als Reitpferd haben könnten? Richtet es sich von Natur aus gut auf oder läuft es eher mit tiefem Hals? Zeigt es Fehlstellungen an Vor- oder Hinterhand? Ist es eher kurz und kompakt oder lang und rechteckig gebaut? Natürlich muss dabei das Alter und der Entwicklungsstand berücksichtigt werden, denn so mancher Gebäudemangel ist nur von vorübergehender Dauer (z.B. das typische Überbautsein von vielen jungen Pferden).
  • Welche Gänge bietet es auf der Weide freilaufend an? Zeigt es viel Tölt, zeigt es Töltansätze, oder läuft es gerne Trab? Kann es vielleicht Rennpass laufen? Läuft es tendenziell bergauf oder bergab? Hat es weite, flache oder hoch-weite Bewegungen?
All diese Faktoren nehmen Einfluss auf die Ausbildung des Pferdes und seine spätere Eignung als Reitpferd. Ein gutes Extrieur, ein angenehmes Temperament oder viel Tölt können die Ausbildung an mancher Stelle erleichtern.
Doch, in welchem Maße sollte der Mensch Einfluss auf das Aufwachsen eines Pferdes nehmen? Muss man sich zwischen ‚Verwildern’ oder ‚Verhätscheln’ entscheiden? Ab wann sind erste Übungen sinnvoll? Gerade die Frage, ob Fohlen unberührt in ‚Freiheit’ aufwachsen sollen, wird sehr kontrovers gesehen. In praxi wird es jedoch kein Fohlen oder Jungpferd geben, dass niemals Menschenkontakt hatte: Zumindest Wurmkuren, Impfungen und Hufpflege stehen für jedes junge Pferd an. Es muss also nach dem Maß des Menschenkontaktes gefragt werden. Folgende Aspekte sollen zum Nachdenken anregen:

  • Profibereiter plädieren nicht zu Unrecht dafür, Jungpferde eher in Ruhe zu lassen, denn: Kann schon ein dreijähriges Pferd die gesamte Palette an Bodenarbeitsübungen, wird es schwer, es noch für neue Dinge zu begeistern und seine Neugierde fürs Lernen zu nutzen. Wurde ein Pferd als Fohlen aus der Hand gefüttert, durfte es Menschen knabbern und schubsen, so wird es als erwachsenes Pferd unter Umständen respektlos oder gar gefährlich. Hat man ein junges Pferd überfordert, es zu viel mit Gerte und Peitsche getrieben, so ist es unter Umständen schon in jungen Jahren abgestumpft oder es verweigert die Arbeit völlig.
  • Pferde mit eher wenig Menschenkontakt zeigen oftmals feine Reaktionen und reagieren gut auf Körpersprache. Die Arbeit wird dadurch für erfahrene Ausbilder erleichtert, es kann mit sparsamen Hilfen gearbeitet werden, das Pferd ist neugierig und findet das Training spannend.
  • Will man sein Pferd selbst und für sich ausbilden, so ist es sinnvoll, ihm altersentsprechend alle Dinge beizubringen, die den Umgang mit ihm möglichst erleichtern und stressfrei machen. So sollte man das Fohlen anfassen und aufhaltern können und es sollte die Hufe geben. Es würde sehr schwierig werden, einem halbstarken Jährling das erste Mal ein Halfter anzulegen oder die Hufe aufzunehmen! Mit zunehmendem Alter steigert man langsam das Pensum; sinnvoll ist es, ihm zum Beispiel als Absetzer/Jährling das Führen beizubringen, so dass man es von Weide A zu Weide B bringen kann. Man kann es im Fellwechsel regelmäßig putzen, so dass es Berührungen als selbstverständlich und angenehm empfindet und ähnliches. Das Pferd wächst so langsam in sein zukünftiges Reitpferdeleben hinein und man erleichtert sich den täglichen Umgang enorm!
  • Es ist nicht zu befürchten, ein Jungpferd durch regelmäßigen und fachgerechten Umgang zu verderben. Es wird nicht an Temperament und Reaktionen verlieren! Stattdessen erlaubt man ihm und sich selbst einen stressfreien Alltag und einen leichten Einstieg ins Reitpferdeleben. Davon abgrenzen sollte man einerseits zu frühes und zu umfangreiches Training mit jungen Pferden und andererseits das ständige Leckerlie-Füttern und das Durchgehenlassen von Frechheiten wie knabbern, schubbern, treten usw.
Um Stress für Mensch und Pferd zu vermeiden, sollten schon junge Pferde gewisse Grundlagen wie das Führen und am Anbinder stehen lernen.

Viele Gestüte gehen einen Mittelweg, indem sie die jungen Pferde jedes Jahr für einige Wochen in den Stall holen und ihnen Basissachen beibringen; anschließend dürfen die Jungpferde wieder hinaus auf die Weiden. Das Maß an Erziehung und Menschenkontakt kann also mit zunehmendem Alter langsam gesteigert werden. Wichtig ist aber, dass Jungpferde in erster Linie unter Gleichaltrigen und mit viel Freilauf, bedarfsgerechter Fütterung und Pflege in Ruhe groß und kräftig werden sollten.


 


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