Fjara ist etwas Besonderes gewesen. Sie war mein erstes Pferd. Ist mit mir durch dick und dünn gegangen. Wenn ich sie brauchte, war sie da und hat mir zugehört. Natürlich hatten wir auch schwierige Zeiten. Manchmal konnte sie eine richtige Zicke sein, aber auch diese Phasen gingen vorbei und wir vertrugen uns wieder. Ich kann mich noch genau an den Moment erinnern, als ich sie das erste Mal sah. Gemeinsam mit ihren Freunden tobte sie ausgelassen über die Weide. Die große Schimmelstute zog mich sofort in ihren Bann. Der Umstand, dass sie aus Island importiert worden war, beeindruckte mich noch mehr. Es ging nicht anders, wir wurden ein Team. Die Zeit mit ihr möchte ich nicht missen.
Doch jetzt war sie weg. Hatte mich verlassen. Weihnachten stand vor der Tür. Aber die vorweihnachtliche Freude konnte ich nicht teilen. Meine beste Freundin war gegangen, glücklich sein war unmöglich. Lange habe ich darüber nachgedacht, wie ich Fjara die letzte Ehre erweisen könnte. Dann stand es fest. Ich wollte sie zurück bringen, zurück nach Hause, nach Island, dem Land ihrer Ahnen. Schnell kratzte ich mein Erspartes zusammen und buchte den Flug. Weihnachten würde ich dieses Jahr auf der Insel verbringen.
Als ich in Keflavik landete, war es dunkel. Man sagte mir, dass es gar nicht richtig hell werden würde, aber das war in Ordnung. Es war der 23. Dezember. Am Abend des nächsten Tages wollte ich Fjara hinausbringen. Die ganze Zeit trug ich sie in einer kleinen Schachtel bei mir. Die einst so imposante weiße Stute in einer kleinen Pappschachtel.
Die Glocken der Hallgrimskikja läuteten. Es war die Zeit gekommen, um aufzubrechen. Ich nahm Fjara und setzte mich in den gemieteten Jeep. Es war ein älteres Modell, aber ich vertraute ihm trotzdem. Heute, am heiligen Abend, war es etwas heller geworden, doch die Dunkelheit begann schon wieder sich einzuschleichen. Langsam folgte ich der Straße aus Reykjavik ins Nichts. Überall sah ich Geröll und Grau. Das war Island, das Zuhause meiner Fjara.
Nach einer Weile erreichte ich eine Hügelkuppe. Ich stieg aus, erklomm den Hügel und blickte in die Ebene, die sich vor mir ausbreitete. In meinen Händen hielt ich die Pappschachtel. Der Himmel wechselte allmählich von dem leichten Grau des Tages über das schwerere der Dämmerung zu dem tiefen Schwarz der Nacht. Aber noch war es nicht dunkel, noch sah ich die Weite vor mir. Diese endlose Weite, die mir ein Gefühl der Winzigkeit gab. Die Dämmerung war magisch. In ihrem Angesicht verlor alles Andere seine Bedeutung. Ich war hier mit Fjara, das zählte.
Ich schloss die Augen. Fjara und ich, wie wir über die Felder flogen, wie wir über den Strand ritten, wie wir schwierige Aufgaben meisterten. All das war nun vorüber. Fjara sollte ihre Freiheit wiederbekommen. Meine Augen wiedergeöffnet, sah ich, wie nun auch das letzte Quäntchen Helligkeit langsam zu verschwinden drohte.
Jetzt oder nie! Behutsam öffnete ich die Schachtel und drehte sie in den Wind. Ein leichter Windstoß erfasste den Inhalt und trug ihn in die Weite hinaus. Tränen begannen langsam über mein Gesicht zu fließen.
Ich blickte auf und sah am Horizont einige Schemen. Es schienen einige Pferde zu sein. Sie blickten auf und drehten ihre Köpfe in meine Richtung. Ihre langen Mähnen bewegten sich sachte in dem leichten Wind. Ich bekam eine Gänsehaut. Ein Pferd stach hervor. Es war größer als alle anderen und sein helles Weiß leuchtete in den letzten Momenten der Dämmerung. Im nächsten Moment verschluckte sie die Dunkelheit. Es war vorbei. Fjara war angekommen und ich allein in der Dunkelheit der isländischen Weihnachtsnacht. Aber Angst hatte ich nicht. Ein Lächeln stahl sich auf mein Gesicht. Ich hatte meiner besten Freundin das beste Geschenk gemacht, dass ich je einem Lebewesen machen könnte. Die Freiheit.